Positionswechsel

Leitbilder vor der Christuskirche … Neue Skulptur im Schlosshof … Inspiration im Rathaus

Ödön auf der Seidlbank

Positionswechsel. Servus, Emanuel. Ich wechsle mal mit Edmund, also mit Ödön, die Bank. Auf dem Vorplatz der Christuskirche wollen wir Platz nehmen. Ist nicht so luxuriös wie die deine, eine Bank vor der Kirche halt. Hundert Jahre ist sie in diesem Jahr alt, die Kirche natürlich. Dem Tagblatt war sie eine große Seite wert. Aber du, Emanuel, bleibt doch auch dabei, nicht nur mit deinem Namen als Immanuel, dem hebräischen, mit Gott. Du hast ja das herrliche Plätzchen am Bahnhofsberg als Bauplatz gefunden, als attraktiver von dir eingeschätzt als der schon gekaufte am König Ludwig Denkmal.

Da sitze ich also an der Kirchenwand, schaue auf die Pracht der japanischen Anemonen, bewunder ihren verwilderten Wuchs, der den Baumstumpf großflächig bedeckt, den die Gärtner der Marktgemeinde von dem leider zu fällenden Baum als Erinnerung stehen ließen. Wird ein neuer Baum kommen? Zurzeit wird er nicht vermisst.

Mit mir und meinem Ödön schaut die Skulptur des Johannes auf das Anemonenfeld und darüber hinaus. Johannes, der Autor des letzten Buches der Bibel, der Seher und Schreiber auf der Insel Patmos mit seiner Botschaft für eine neue Welt von dem, dessen Name die Kirche hinter ihm trägt. Christus erwartet er, ihn sieht er. Deine Vision, Ödön? Die Menschen halt sind keine Menschen, aber weniger ungerecht könnte die Welt doch sein.

Die Skulptur des Johannes, von Herbert Volwahsen geschaffen, der 1972 nach seiner Lehrtätigkeit in Dortmund nach Murnau zog, war ein Glanzstück in der Ausstellung des Kunstvereins „Die Tür“ zum hundertsten Geburtstag des Künstlers. Diesen Johannes für eine Christuskirche zu erwerben, das war für die Kirchengemeinde unabdingbar. Sie ehrte damit auch die Ehefrau des Künstlers, vielfach mit der Kirchengemeinde verbunden. Neben der Skulptur des Johannes steht seit 2022 eine Kirchenglocke, eine der drei Glocken der Christuskirche in Utting, eine in Bayern einmalige Holzknüppelkirche in skandinavischer Tradition, die im August vor einem Jahr aus bisher noch nicht geklärten Gründen abgebrannt ist. Zum Läuten ist sie nicht mehr zu gebrauchen, sie dient jetzt als Einladung für einen Solidarakt über den eigenen Tellerrand hinaus: Am 10. Juli 2027 soll sie, die Christuskirche in Utting, wieder aufgebaut, ihr Hundertjähriges feiern.

Ein schöner Platz hier für Visionen. Ich hole Alexandra Thoni auf die Bank, die Leiterin der Tourist-Info, Visionen erprobt. Ein Leitbild für den Murnauer Tourismus hat sie mitgebracht, in diesem Jahr herausgekommen. Inspiration ist der zentrale Begriff der Broschüre. „Murnau ist Inspiration: voralpine, einzigartige Natur, Kulturszene zwischen Tradition und Moderne, Raum zum Begegnen,
Verweilen und verwöhnt werden. Und diese Inspiration hat gewirkt in diesem Sommer, der so ganz anders war als der verregnete August im letzten Jahr. Wir sind an die Grenzen unserer Kapazitäten
gestoßen, zuweilen kein Bett mehr frei in den Ferienwohnungen. Selbst das Fremdsprachenpotenzial in unserer Touristeninformation im Rathaus wurde voll ausgeschöpft. Großveranstaltungen wie die Passion in Oberammergau oder Murnau als Startplatz des Herren-Straßenrennens der European Championships München oder „Aufgspuit“ im Murnauer Moos oder der Lockruf des Schlossmuseums „Und morgen nach Murnau“ bringen auch viele Tagesgäste.“ Die Vision des Leitbildes erfüllt sich. Sie soll, so erfahre ich, ausgeweitet werden als Leitbild des Blauen Landes: Neun Orte, drei Seen ein Traum. Wenn ich die Diskussionsgesellschaft auf der letzten Seite der Broschüre als Vorlage betrachte, dann kann ich des Erfolgs sicher sein und wohlgemut den Platz vor der Kirche verlassen.

Ich schlendere durch den Markt, steige die Treppe zum Schloss hoch und setze mich noch einmal auf die harte Bank vor das zurückgekehrte Gemälde. Ja, nicht morgen, heute schon nach Murnau. Und was sehe ich, als ich das Museum verlasse, da in der Blumenrabatte am Rand des Schlosshofs? Das von Johannes Volkmann neu gestaltete Vorschriftzeichen der Gendergerechtigkeit. Auch eine Frucht der Inspiration, durch die neun Orte des Blauen Landes getourt, vom Museum erworben und als Skulptur dem Besucher als Denkanreiz in den Blick gestellt. Ein Gebotszeichen der menschlichen Gemeinschaft. Ich schlendere hinunter in den Markt, am Rathaus vorbei. Ich sehe die lange Schlange vor der Gelateria Gabrielli, stelle den Genuss zurück und lasse mich von der im Schaufenster ausgestellten Inspiration von Blumen-Müssig bannen.

Schon in der Zeit, als es in Murnau am 2. Oktober noch eine Kunstnacht gab, Motto „Jeder macht was“, da hat der Florist Andreas Müssig aus seinem Laden eine Galerie gemacht, eine Attraktion.
In diesem Jahr konnte er nach zwei Jahren Zwangspause wegen Corona sich mit den Besten der Zunft in Berlin bei der Deutschen Meisterschaft der Floristen messen. Vier Aufgaben zum Thema „Freiheit“ waren zu lösen. Der neue Deutsche Meister kam aus Thüringen, auf dem dritten Platz aber landete schon ein Murnauer: Andreas Müssig. Dazu gewann er auch noch den Sonderpreis für den besten Raumschmuck. Werden wir Müssigs Inspirationen erleben können, wenn es tatsächlich, wie bei Google angekündigt, 2022 wieder eine Kunstnacht geben wird? Schön wär‘s.

Ich habe mich verbummelt, zum Eis also später. Jetzt ins Rathaus. Ich betrete den Sitzungssaal. Ich muss mich setzen. Wow! Eine Rauminstallation über die vier Wände des Saals, 45 Meter. 24 Ratsmitglieder und der Bürgermeister brauchen nur den Kopf zu heben über ihren Papieren und sie haben ein Schaubild des demokratischen Grundprinzips vor Augen. Eine Idee kommt durch die Tür in den Sitzungssaal, strömt in geschwungenen Linien in ein Netzwerk von Silikonschläuchen zwischen Knotenpunkten. Die Idee wird diskutiert, potenziert, verworfen, weitergetragen. Aus dem pulsierenden Geflecht wird ein einziger Schlauch mit einem Endpunkt der Installation bei der Eingangstür. Die Idee kann als Beschluss den Saal verlassen.

Lena Policzka hat „System: Circuit“ geschaffen, den Wettbewerb gewonnen, den der Gemeinderat für den neuen Sitzungssaal als Raumschmuck ausgeschrieben hatte. Ich kann ihm zu dieser Entscheidung gratulieren. Auch hier ein Wow! Die Künstlerin, in Penzberg geboren, wohnt und arbeitet in Oberammergau. Seit 2014 konnte sie sich an 10 gemeinsamen Ausstellungen beteiligen, 2018 gewann sie 3 Stipendien und Auszeichnungen. Was sagte Alexandra Thoni auf der Bank vor der Christuskirche? Murnau ist Inspiration. Ich kann hinzufügen, noch gebannt von der Rauminstallation: Murnau ist inspirierend.

Ein kleiner Gedankentest. Durch die Tür kommt die Idee, wie beim Schlossmuseum auch für das Rathaus ein Verkehrszeichen der Gerechtigkeit zu kaufen. Vielleicht das Gebotszeichen „Respekt“, wäre doch sehr passend für ein Rathaus, in und mit ihm. Wie wird es der Idee ergehen im Netzwerk der Silikonschläuche? Silikongel, im Gedächtnis googelnd, verhindert doch Narben, reduziert Rötungen. Ich schüttle den Kopf, stehe auf. Jetzt aber schnell zum Eis.

Autor Dieter Kirsch

Mehrmals in einem Monat sitze ich mit Ödön von Horváth auf der Seidlbank vor dem Murnauer Rathaus. Das Ergebnis unserer Gespräche ist am ersten Mittwoch im Folgemonat hier zu lesen.

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