Vergangenheit, der Schlüssel zur Gegenwart

Hausrezept Knoblauch
Das multiethnische Frankreich
Ohne Instinkt in die Zukunft

Ödön auf der Seidlbank

Ödön, stöhnst du auch über die vielen Stechmücken? Ach, mein Lieber, ich habe ein gutes Abwehrmittel, von meiner Großmutter erfahren. Mücken verabscheuen Knoblauch. Dann auf ins Knoblauchsland, nach Nürnberg, Erlangen Fürth. Das heißt zwar so, aber Knoblauch wird nicht mehr angebaut, mein Lieber. Die vier Knoblauchzehen für unsere Bruschetta kommen heute meist aus Italien, Spanien oder Frankreich. Dann halt auf nach Frankreich, das im Juli sowieso schon die Nachrichten beherrscht: Erst die Parlamentswahlen, dann die Tour de France und jetzt die Olympischen Spiele in Paris. Zu den 204 Fahnen der Nationen passt ja dann gut unsere Knobifahne.

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Nur, bedenke, dass die Fahnen in Paris für das Zusammenkommen aufgezogen wurden, die olympische Idee des Pierre de Coubertin, um vor rund zweihundert Jahren dem Nationalismus in Europa entgegen zu wirken. Sport und Politik, scheinbar ein Knoblauchthema. Holen wir doch Guillaume Martin auf unsere Bank, den Radprofi und Philosophen.

„Ja, ich kann in die Pedale treten und denken. Und mit der Reichweite, die wir Sportler in den Sozialen Medien haben, meine ich, wir sind fast dazu verpflichtet. Und wenn ein Kylian Mbappé, der Fußballer, auch für die Werte eintritt, die uns wichtig sind und Position bezieht gegen die gegenwärtigen Rechtsradikalen, dann erreichen wir natürlich viel mehr Menschen. Das multiethnische vielfältige Frankreich, die multiethnische vielfältige Welt.

Ein Martin, ein Mbappé, die gab es in Deutschland meiner Zeit, nach meinem Wissen nicht. Boxkämpfe waren damals die riesige Sportveranstaltungen. Ich war, wie Bertolt Brecht oft im Berliner Sportpalast, war begeistert von Johann Trollmann, „Rukeli“, der tänzelnde Zigeuner, war der absolute Publikumsliebling. Faustfechten wurde sein Boxstil genannt. Aber zu den olympischen Spielen 1929 in Amsterdam durfte er als Sinto nicht. Der deutsche Boxverband wollte die „arische“ Überlegenheit zeigen, so die NS-Kampfideologie.

Da sind wir ja wieder mal bei unserem Thema angekommen, der Politik. Und heute bei einer Rede von Daniel Kehlmann im Bundeskanzleramt zu „25+1Jahre Bundeskulturpolitik“. „Es kommt etwas auf uns zu, für das wir keinen Instinkt haben. Ich sage nicht, dass wir keine Ahnung haben, denn wir sind nicht dumm und vorstellen können wir es uns problemlos, sondern ich sage, dass das was wir uns vorstellen nicht wirklich unser Gemüt erfasst. Der Beweis? Wir sind nicht in Panik. Panik aber wäre angebrachter als die entspannte Ruhe mit der wir dem Tsumani entgegenblicken, der sich bereits am Horizont abzeichnet. Wir werden Desinformationen in einem Ausmaß erleben gegen das alles Bisherige wie eine freundliche Diskussion unter Gleichgesinnten aussieht. Die Datenunternehmen von Chat-GPT sind gewaltig wie Leviathane. Europa ist der größte Markt der Welt. 36Cent kostet jede Eingabe bei Chat-GPT, das macht durchschnittlich 700 000 Dollar pro Tag, die irgendjemand aufbringen muss. Wer, wenn nicht der Benutzer? Im Namen unserer bedrohten demokratischen Gesellschaft: Noch kann der gemeinsame Wille der Regierungen unseres Kontinents etwas unternehmen. Noch. Aber wahrscheinlich nicht mehr lange.“ *

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Eine heiße Rede mein Lieber. Passt zum weltweit heißesten Tag seit 1850, dem 21. Juli, als mit der Wetteraufzeichnung begonnen wurde. Dann passt’s, Ödön. Komm mit. Bei uns gibt es heute Gazpacho.

* Google: Daniel Kehlmann, Wir fühlen nicht, was wir doch wissen“

Autor Dieter Kirsch

Mehrmals in einem Monat sitze ich mit Ödön von Horváth auf der Seidlbank vor dem Murnauer Rathaus. Das Ergebnis unserer Gespräche ist am ersten Mittwoch im Folgemonat hier zu lesen.

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