Die Erde retten

Erdüberlastungstag 2023
Fossile Energien gegen fossile Emissionen
Pfingsten und der gute Geist

Ödön auf der Seidlbank

Lockere und alltagsphilosophische Gedanken zu den letzten vier Wochen.

Ach, Ödön, am 4. Mai schon haben wir in Deutschland den „Erdüberlastungstag“ erreicht. Das heißt, wir haben alle natürlichen Ressourcen für dieses Jahr schon verbraucht. Wir leben also 157 Tage im ökologischen Defizit. Mit unserem Ressourcenverbrauch liegen wir wieder im obersten Viertel. Drei Erden hätten wir nötig, würden wir alle so leben wie in Deutschland.

„Ach, ich höre euch immer nur klagen. Stärkt doch mal die positive Sicht. Ihr wisst doch, wie die in Paris beschlossenen Klimaziele erreicht werden können. Ihr setzt euer Wissen nur nicht konsequent um.“ Nur darum? Schau dir doch mal an, Ödön, wer sich mit uns im Spitzenviertel befindet. Der berechnete ökologische Fußabdruck* zeigt, dass Katar seit dem 10., dass Luxemburg seit dem 15. Februar schon seine Ressourcen verbraucht hat. USA liegt seit dem 13. März, Russland seit dem 15. April im ökologischen Defizit. Nur rund 50 Staaten haben keinen nationalen Überlastungstag.

„Sicher, die Menschheit geht immer noch in die falsche Richtung. Aber Deutschland, die große Industrienation hat doch eine Vorbildrolle zu übernehmen. Ihr müsst also nationale Erfolge im Klimaschutz herausstellen, auch wenn die weltweite Bilanz ein anderes Bild zeigt.“ Ich hole den Klimaforscher Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung auf die Bank, bitte um seine Meinung. „Ödön hat schon Recht. Deutschland hat eine Vorbildrolle. Und tatsächlich ja auch einiges erreicht. Deutschland hat praktisch im Alleingang vor 20 Jahren die Energiewende auf den Weg gebracht. Dadurch wurden erneuerbare Energien bezahlbar. Eure Fleischproduktion ist um acht Prozent gesunken, also sind auch die enormen Klimaschäden der Nutztierhaltung zurückgegangen. Die Treibhausgase wurden um vierzig Prozent reduziert. Vier Milliarden Euro, mehr als je, hat die Regierung investiert, um Auen, Wälder, Moore oder Flusslandschaften zu renaturieren. Mit Balkonkraftwerken wird der Bau von Solaranlagen beschleunigt. Banken haben länger schon mit dem Umdenken begonnen, um Investitionen in erneuerbare Energien zu finanzieren. Wettbewerb ist doch ein Kennzeichen des Kapitalismus.“ Nachdenklich lässt er uns zurück, der Klimaforscher. Seine Signale geben Hoffnung, ein bisschen wenigstens.

Und doch: Klimapolitik erinnert an Sisyphos und seinen Stein. Wie war das auf dem Klimagipfel 2007 in Bali? Der Chef des UN-Klimasekretariats brach auf offener Bühne in verzweifelte Tränen aus, um dann nach zähen Stunden einen umjubelten Fortschritt zu feiern. Zwei Jahre später das Desaster in Kopenhagen. 2015 erst, in Paris, war der Stein wieder auf dem Gipfel, um beim „Petersberger Klimadialog“ jetzt im Mai schon wieder droht, rückwärtszurollen. Die nächste jährliche Klimakonferenz in Dubai sollte vorbereitet werden. Aber, Ödön, stell dir vor, weder bei den Finanzzusagen der reichen Länder für die ärmeren im Kampf gegen die Klimakrise noch bei den Emissionen hatte man das Versprochene erreicht.

Die globale Bestandsaufnahme fiel katastrophal aus. Außer ihrem größten Bedauern konnten die Klimasünder nichts auf den Tisch legen im schönen Weltsaal des Auswärtigen Amtes. Schlimmer noch: Der Gastgeber im Dezember am Persischen Golf will sich jetzt nicht mehr von fossilen Energien verabschieden. Ihm geht es nur noch um fossile Emissionen. Toller Trick, unterbricht mich Ödön. Öl, Gas, Kohle könnt ihr also weiter verbrennen. Nicht ein neues technisches System mit grünem Wasserstoff als saubere Alternative entwickeln. Ihr braucht nur eine neue Technik, wie Emissionen beseitigt werden können.

Da haben wir tolle Erfahrungen, Ödön. Ein halbes Jahrhundert benutzten wir Atomstrom. Jetzt wurden die letzten Kraftwerke abgeschaltet. Aber für die Emission Atommüll haben wir bis heute nur völlig unzureichende Zwischenlager, aber auch noch keins für die künftigen aus dem Abbau der jetzt stillgelegten Anlagen. Der Ort für ein gesuchtes Endlager soll 2031 gefunden sein. Gefunden, Ödön. An dem dann dafür ausgebauten Ort soll für eine Million Jahre ohne Wartung und ohne Aussendung an die Biosphäre der Atommüll gesichert werden. Und 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Nur mal so als Gegenrechnung für die wie besoffen von der Politik gebrauchte Technologieoffenheit. Ja, wir wissen, was wir tun müssen. Aber jetzt ist im „Petersberger Klimadialog“ der Stein schon wieder ein Stück zurückgerollt, ausgelöst von denen, die fossile Energie reich machte.

„Ich muss noch einmal an deinen Sisyphos denken. Tizian** hat ihn doch gemalt, den von den Göttern bestraften König von Korinth für seine Überheblichkeit, seine Hybris. In der Schule, die ich in Budapest einige Zeit besuchte, hing eine Kopie des eindrucksvollen Gemäldes. Wir sollten eindrucksvoll gewarnt werden: Bleibt auf dem Weg der kirchlichen Tugend.“ Tizian malt einen zwar gebeugten, aber kräftigen Mann, Ödön. Trotz des schweren Steins tritt er sicher den Weg zum Gipfel des Berges an. Das Auf und Ab seiner Tage sieht er als sein Los in einem göttlichen Heilsplan. Camus dagegen beschreibt ihn als glücklichen Menschen. Er ignoriert die sinnlose Wiederholung. Er ist frei. Wir aber, Ödön, leben in heillos zerstrittenen Gesellschaften. Und Thomas Assheuer, bis 2021 Redakteur beim Feuilleton der ZEIT, jetzt freier Autor, hat zum diesjährigen Pfingsten sich in einem Artikel auf den Weg gemacht, die Adresse des Prinzips Hoffnung zu finden.

Stattdessen: Überall ideologisch verseuchtes politisches Handeln. Der Streit über den Rufbus im Gemeinderat. Das Chaos der Diskussion im Bundestag über das Gebäudeenergiegesetz. Die unwürdigen Auseinandersetzungen in den Regierungen über die Kriege in der Welt und über die historische Chance, unsere Erde als bewohnbar zu erhalten. Ja, Ödön, wir wissen was zu tun ist. Eckart von Hirschhausen, der Arzt, Autor und Wissenschaftsjournalist hat unsere Haltung auf den Punkt gebracht: Früher glaubte man, was man nicht wissen konnte. Heute wollen wir nicht glauben, was wir sicher wissen. Also, Ödön, machen wir uns auf, um die Hoffnung zu finden. Schauen wir doch einmal, was der Thomas Assheuer auf seiner Suche gefunden hat.

Er hofft auf einen guten Geist, der auch in den heillos zerstrittenen Gesellschaften entstehen kann. Er bezweifelt nicht, dass der Mensch auch aus eigener Kraft einen neuen Anfang findet. Es waren in der Geschichte immer die ausweglosen Situationen, in denen der gute Geist auftritt. Er erinnert an die Geschichte vor zweitausend Jahren, als nach der Ermordung des charismatischen Anführers, des Juden Jesus von Nazareth, dessen Erben beschlossen, eine messianische Widerstandsgruppe ins Leben zu rufen. So kennst du, Ödön, die biblische Geschichte vom Pfingstwunder sicher nicht. Aber sie könnte dir gefallen, denn sie schließt mit der wundersamen Erfahrung: Alle sind eines Geistes. Christen nannten sie sich, waren Friedensträumer im Weltmaßstab. Sie wollten sich befreien von Unrecht und Unterdrückung, Gewalt und Rache. Eine Wunschenergie wird da formuliert, das Verlangen nach Verständigung, nach dem Geist einer kulturell differenten Gemeinschaft.

Und so hofft Assheuer, dass auch heute so ein guter Geist entstehen kann, ja, zu einem Geist der Weltgesellschaft wird, weil die Klimakrise alle Nationen betrifft, denn wenn „alle eines Geistes sind“ dann hilft dieser gute Geist dem „ganzen Erdkreis“ dem ganzen Menschengeschlecht. Kirche, siehst du deine Aufgabe? Puuh, Ödön, das hättest du nicht gedacht, dass wir heute bei dieser Frage landen würden.

* Ökologischer Fußabdruck, der Indikator für Nachhaltigkeit. Damit wird die biologisch produktive Fläche auf der Erde bezeichnet, die notwendig ist, um Lebensstil und Lebensstandard eines Menschen dauerhaft zu ermöglichen.

** Albert Camus, Der Mythos des Sisyphos. Rowohlt Taschenbuch 2000, für 12 Euro zu kaufen

*** Tizian, Sisyphos. Das Original hängt im Museo del Prado. Madrid

Autor Dieter Kirsch

Mehrmals in einem Monat sitze ich mit Ödön von Horváth auf der Seidlbank vor dem Murnauer Rathaus. Das Ergebnis unserer Gespräche ist am ersten Mittwoch im Folgemonat hier zu lesen.

❎ Danke. Im Moment habe ich kein Interesse an dem Newsletter.
✔️ Ich habe mich bereits für den Newsletter angemeldet.