Feste feiern, feste feiern

Von den Königinnen Afrikas
Schüleraustausch: Partnerschaft auf Augenhöhe
Ein Festakt, der zum Fest gemacht wurde

Ödön auf der Seidlbank

Lockere und alltagsphilosophische Gedanken zu den letzten vier Wochen.

Ödön, so modern kommst du heute zu mir auf unsre Seidlbank? Er tanzt vor mir in Rumbaschritten, ganz seinen Ohren ausgeliefert, hört mich nicht. Ich stupse ihn an, er dreht sich um, lacht, greift nach seinen Ohren, lässt nun nur noch die Airpods in seinen Fingern tanzen. „Toll, die Dinger. Ooohe, Makeba, Makeba ma qué bella, makes my body dance for you.” Ich staune Ödön an. „Der erste Sommerhit dieses Jahres. Tiktok pusht ihn derzeit zum Welthit hoch. Noch nichts von ihr gehört?“

Ödön schüttelt verwundert den Kopf. „Jain, die Sängerin? Hör sie dir an.“ Er drückt mir die Airpods in die Ohren. Jetzt wiege ich mich im kongolesischen Rumbarhythmus. „In diesem Sommer tritt sie in Frankreich bei 23 Festivals auf. Den Song hat sie seit acht Jahren schon im Repertoire.“ Und wer ist Makeba? „Miriam Makeba, habe ich in der Zeitung gelesen, ist eine Musikerin aus Südafrika gewesen, die in den Sechzigerjahren gegen die Apartheid-Politik ihres Landes kämpfte. Als „Mama Afrika“ präsentierte sie Weltmusik, also Musik, die nationale und koloniale Strukturen überwindet. Und Jain, die vier Jahre im Kongo lebte, bevor sie wieder nach Paris zog, schrieb mit „Makeba“ eine Hommage an die Menschenrechtsaktivistin. Jetzt schüttle ich verwundert den Kopf. Ein Videoportal aus China, das die Welt erobert, Weltmusik zum Welthit transportiert. Ödön, so könnte China mit Tiktok sogar den Weltfrieden fördern. Ich tauche in meinen Traum. Kurzvideos über die Dummheit, Szenen, getanzt, gesungen, gespielt. Jetzt wiegt Ödön nachdenklich den Kopf.

Wer weiß was von dem, was Jain da besingt, wenn er „Ooohe, Makeba“ im Zelt auf dem Volksfest grölt, Arme hochgestreckt? Wer weiß überhaupt was von den „Königinnen Afrikas“*, den charismatischen, kühnen und furchtlosen Frauen dieses Erdteils? Wer weiß was von Yaa Asantewaa, der legendären Frau bei den Ashantis, einer Region im heutigen Ghana, einst ein mächtiges Königsreich. Sie war es, die den zaudernden Männern im Ältestenrat drohte, dass die Frauen dann den Kampf gegen die britische Kolonialmacht fortsetzen werden. Ja, wer weiß überhaupt was von der Geschichte Afrikas?

Ödön schmunzelt. Ich zumindest habe meinen Lehrer in „Jugend ohne Gott“ nach Afrika ausreisen lassen. Mein hintersinniger letzter Satz im Roman: „Der Neger fährt zu den Negern.“ Der Neger als Synonym für die als Außenstehende Deklarierten fährt in einen Kontinent der Neger. Ein Wortspiel für unseren europäischen Rassismus. Holen wir uns doch dazu den Journalisten Howard French auf die Seidlbank. Er stammt aus einer afroamerikanischen Familie. „Ja, ohne Afrika wäre Europa nie zur Supermacht aufgestiegen. Man vermutete in Afrika enorme Goldvorkommen, suchte einen Weg dorthin. Als die Portugiesen 1471 dieses Gold tatsächlich fanden, zum Beispiel im heutigen Ghana, ließen sie Kolumbus seine Theorie beweisen, über den Atlantik Asien zu erreichen. Bis dahin hatte niemand, der nicht weiß war, egal auf welchem Kontinent, die Vorstellung, einer Rasse zuzugehören. Die Europäer führten das ein. Sie sagten, ihr seid Indianer. Und ihr seid schwarz, also Afrikaner. So untermauerte man das Ziel der Überlegenheit Europas. Zugleich koppelte man diese Aufwertung mit einer Abwertung Afrikas. Eine wertlose Weltgegend, nur Wilde, mit Knochen in der Nase und Speeren in der Hand, ohne jede Organisation, ohne jede Struktur. Und daraus entstand der Horror der Sklaverei. Es wurde per Gesetz bestimmt, dass es illegal ist für eine schwarze Person, frei zu sein. Eine tragische Beziehung über sechs Jahrhunderte. Der ökonomische Aufstieg Europas, die im Westen verankerte Demokratie, die Durchsetzung der sogenannten Ideale der Aufklärung, das alles erwuchs aus Europas entmenschlichendem Umgang mit dem schwarzen Kontinent.“ **

Puuh. Schmerzhafte Töne. Stille. Und dann, Ödön: Aus dieser Vergangenheit muss eine andere Zukunft werden.

Das denke ich auch, Ödön. Und Murnau hat das auch so gedacht und hat als Marktgemeinde eine Partnerschaft mit Atwima geschlossen. einer Region in Ghana. Einstimmig angenommen, von allen Fraktionen im Gemeinderat. Wieder kommt das Ödön Schmunzeln. „2019 war das noch möglich.“ Ja, aber als die Delegation 2019 in ihren afrikanischen Gewändern nach der Unterzeichnung der Urkunde im Rathaus im Festzug zum Volksfestplatz zog, zum O’zapfen, da mag so mancher in den Fenstern und unten in der Fußgängerzone an exotische Folklore gedacht haben. Ein König unter einem roten Baldachin, der Hofstaat in bunten Hemden und Gewändern, der Landrat aus Atwima und die Murnauer Politikprominenz, aufgewertet durch den Afrika-Beauftragten des Bayerischen Wirtschaftsministeriums. Ja, Ödön, Politik hatte also Platz genommen bei dem, was da gefeiert wurde: die Unterschrift unter der Partnerschaftsurkunde. Die Feier wurde zum Fest.

Und es wurde fest gefeiert im Festzelt, nachdem das erste Fass angezapft war und die Bierkrüge füllte. Das Volksfest, ein fester Punkt im Jahresablauf blieb, auch die Partnerschaft. Arbeitstreffen in Atwima und Murnau folgten, Fachausschüsse entstanden für die Grundschulen, für die Feuerwehr, für den Klimaschutz, für die Kliniken. Und die Partnerschaft hat auch eine Schokoladenseite bekommen, dank Barbara Krönner. Sie hat die Bio-Kakao-Kooperative von Yavra Glover besucht. Daraus hat sich eine Geschäftspartnerschaft entwickelt. Aus den Kakaobohnen der Kooperative stellen die Chocolatiers Mike und Max in Murnau Vollmilch- und Edelbitterschokolade her. Mit dem Gewinn aus den Kakaobohnen und der Schokolade wird ein Kindergarten und ein Frauenhaus in Suhum entstehen. Yayra Glover kann so die Arbeitsplätze und eine faire Bezahlung sichern. Aus den kleinen menschlichen Beziehungen ist ein Deutsch-Ghanaischer Freundeskreis und die große Idee einer Kontinente überspannenden Partnerschaft entstanden. Und jetzt Ödön, jetzt 2023, wird dein damaliges Wortspiel zum Zauberwort: Aus der Lehrerausreise wird ein Schüleraustausch, von beiden Seiten, Ödön. Die Stiftung Jugendaustausch Bayern möchte ihn einleiten, auch Mittel- und Realschulen einbeziehen. Und wieder sind es ideenreiche Menschen, hier Torita und Florian Wolfart, die Chancen sehen und sie einsatzbereit nutzen. „Auf Augenhöhe“, das Motto der Partnerschaft, bei einem Schüleraustausch wäre das zu schaffen.

Die Stiftungsvertreterin in der Auftaktveranstaltung in Murnau schwärmt: „Wir werden eine Wüste begrünen in der Erziehungs- und Schullandschaft.“ Du runzelst die Stirn, Ödön? Die Schulen schaffen das. Die jungen Ghanesen werden ein Visum bekommen. Ich sehe sie schon in der langen Schlange stehen, bei der Gelaterie Gabbrielli, auf Arancello warten, das Eis des Tages. Ein großer Genuss, ein kleines Fest für Zunge und Gaumen. Komm, setzen wir uns zu einem Affogato in Barbaras Schokoladenmanufaktur.

Ein großes Fest war das, mit dem der Juli in diesem Jahr begann. Zum 25-jährigen Jubiläum war es noch eine „Floriade. Mit Dank für die Blumen.“ Der Murnauer Florist Andreas Müssig kreierte dazu eindringliche Blumeninstallationen. Ich lege „Der Blaue Reiter – Eine Hommage“, den Ausstellungskatalog des Schlossmuseums vor Ödön auf den Gartentisch. Ein Festakt, der zum Fest gemacht wurde. Gefeiert wurde jetzt die Eröffnung des Schloßmuseums vor 30 Jahren, der Weg eines Heimatmuseums zu einem Ort, der von Kunstfreunden aus aller Welt geschätzt wird. Sie werden jetzt vermehrt Murnau als Reiseziel wählen. Eine Dauerleihgabe von 34 Meisterwerken des Blauen Reiters wurden dem Museum zum Jubiläum übergeben.

Erstaunt schaue ich auf Ödön. Er gruschelt in seiner Tasche, zieht ein Handy heraus. Erst Airpods, jetzt ein Handy? Ödön zuckt mit der Schulter. „Ihr lest, was ich vor neunzig Jahren gedacht und geschrieben habe. Ich will wissen, was ihr heute denkt und lest.“ Er spielt auf der Tastatur, schaut auf das Handybild. „Jetzt verstehe ich, warum der letzte Raum eurer Sonderausstellung als Spielplatz für Kinder der Museumspädagogik überlassen wurde: Farben- und Formspiel. Und das Suchspiel für Kinder.“ Und ich seh noch den Knirps, vor den Bildern schreibend auf dem Boden, die Eltern befragend, dann stolz an der Kasse stehend. Er gibt seine Lösung ab, „Mut und Fantasie“, steckt sich dafür den Button „Held des Tages“ an sein Hemd. Der Geist der Stiftungsziele, Bildung und Familie, wird auch vom Museum umgesetzt. „Das gefällt mir. Auch dass ein Möbelhersteller sein Vermögen in ein privates gemeinnütziges Engagement einbringt als Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit, auch das gefällt mir“.

Mir gefällt das auch, Ödön. Komm, ich lade dich bei diesem Juli und diesen Ereignissen in Murnau jetzt zu einem dicken Eis ein. Gern hätte ich dich in die Speisewirtschaft Hans Feistle in der Weilheimer Straße geführt, die älteste Eisdiele am Platze. Das war 1950, wie unsere rührige Marktarchivarin Marion Hruschka ermittelt hat. Aber es gibt ja gute Erben dieser Zunft aus dem Süden Europas.

* Silvia Serbin, Königinnen Afrikas, Peter Hammer Verlag, 2006 erschienen. Eine Neuauflage ist leider bisher noch nicht herausgekommen. Über den Leihverkehr der Gemeindebücherei aber preiswert zu beschaffen.

** Howarth W. French, Afrika und die Entstehung der modernen Welt, Klett Verlag, 2023. Preis zwar 35 Euro, aber er lohnt sich. Aber auch hier kann die Fernleihe helfen.

Autor Dieter Kirsch

Mehrmals in einem Monat sitze ich mit Ödön von Horváth auf der Seidlbank vor dem Murnauer Rathaus. Das Ergebnis unserer Gespräche ist am ersten Mittwoch im Folgemonat hier zu lesen.

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