Natur und Kultur

Die Weltuntergangsuhr
Adipositas, unser energetisches Niveau
Fasten, 7 Wochen ohne Verzagtheit

Ödön auf der Seidlbank

Schön warm, Seidl, der weiße Lack auf deiner Bank. Am Wegrand sind schon Märzenbecher zu erblicken. Auf dem Schulhausdach ist schon der Storch zurück. Ein Bilderbuchwetter. Aber im Kalender steht doch noch Februar? Ja, das Wetter, schwierig vorauszusagen. Auch für Storch und Frühblüher? Schwieriger als das Klima, der gemittelte Wert von 30 Jahren, das Wetter.

Da stockt mein Selbstgespräch, bleibt hängen, weil über mein rechtes Ohr, das bessere, der Begriff Weltuntergangsuhr in mein Hirn schlüpft. Was für ein Wort, das Wissenschaftler des Gremiums „Atomic Scientists“ eingerichtet haben, um anschaulich zu machen, wie nah die Menschheit vor der Selbstzerstörung steht. Sieben Minuten vor zwölf zeigte sie 1947 an, begründet mit der Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen. Die Truman Doktrin war gerade verkündet worden, der kalte Krieg drohte heiß zu werden. 1953 waren wir schon 2 Minuten vor der Selbstzerstörung, die erste Wasserstoffbombe war gerade getestet worden, doch 1991, der kalte Krieg war beendet, stand die symbolische Weltuntergangsuhr immerhin wieder 17 Minuten vor Mitternacht. Die Gefahr schien gebannt.

Doch die bipolare Welt kehrte zurück, Wandel durch Handel scheiterte. Zu den hochgerüsteten Bündnissystemen kam die Klimakrise und der Krieg in der Ukraine mit der akuten Gefahr der Kämpfe um die Atomanlagen von Tschernobyl und Saporischschja, so dass im Bulletin der Wissenschaftler im Gremium „Atomic Scentists“ die Zeiger jetzt auf den Rekordwert von 90 Sekunden vor zwölf geschoben wurden. Noch nie rückten wir dem fürchterlichen Risiko näher, dass durch Unfall, Absicht oder Fehleinschätzung der Konflikt außer Kontrolle geraten könnte. Wie hat Karl Valentin, vor 75 Jahren im Februar am Rosenmontag gestorben, zugespitzt formuliert? „Die Atombombe ist doch eine wunderbare Erfindung, die uns den ewigen Frieden bringen könnte.“

Ich blase das Symbol wissenschaftlichen Denkens, die Weltuntergangsuhr, über das linke Ohr wieder aus meinem Hirn, hole mir nach dem valentinesken Zitat zwei dufte Typen auf die Seidlbank. Der eine, Bergsteiger, der alle Achttausender ohne Sauerstoff bestiegen hat, der andere, Astrophysiker und Fernsehmoderator, der dort in 15 Minuten den Urknall und das Weltall erklären kann. „Die Natur ist immer nur da. Der Mensch macht die Fehler. Unser Wohlstand, ausgelöst durch die Industrialisierung, war nur möglich durch die Energie fossiler Brennstoffe. Aber wir waren naiv, wussten nicht, dass diese Stoffe, Benzin zum Beispiel, schädlich sind für unser Leben. Bis wir gemerkt haben, dass es anfängt, kritisch zu werden.“

Harald Lesch, der Astrophysiker ergänzt Reinhold Messner, nennt ein Datum. „Das war 1972, also vor 50 Jahren, der Bericht des Club of Rome, „Die Grenzen des Wachstums“. Der griff auf und vertiefte, was Wissenschaftler schon um 1900 erkannt hatten, den Treibhauseffekt und dass wir besser die Sonnenenergie nutzen sollten, weil die fossilen Ressourcen ja endlich, also begrenzt seien.“ Seit mehr als hundert Jahren wissen wir das, wir leben auf einem energetischen Niveau, Lesch nennt es drastisch Adipositas, Fettleibigkeit, energetisch total verfettet. Er illustriert es auch drastisch. „Wir haben ein paar hundert Pferde in einem Motor, der fünf Liter groß ist.
Ungeheuerlich. Das muss doch zur Katastrophe führen.“ Der Mensch also, Teil der Natur, zerstört, wirklich ungeheuerlich, seinen Lebensraum, die Natur.

Messner bricht die Schwärze der Rede. „Der Mensch schafft auf der Welt aber auch Kultur, umgewandelte Natur, ein Gegenbegriff zu der nicht vom Menschen veränderten Natur. Musik ist Kultur. Wir stellen mit ihr die Welt dar. Auch Literatur kann das. Überhaupt, die Kunst.“ Messner illustriert seine Gedanken mit seinem Auftritt als Moderator bei den Stuttgarter Philharmonikern in Eine Alpensinfonie. „Ich erzähle von der Angst in der Nacht vor dem Aufbruch. Die Angst ist da, weil wir in der Dunkelheit nichts sehen, uns also auch nicht verteidigen können. Das ist ein Instinkt. Das steckt auch in der Musik von Strauss. Ich kommentiere die Musik. Diese Unsicherheit beim Beginn des Losgehens. Und wenn ich dann in der Wand bin und den Abgrund unter mir habe, wird mir meine Begrenzung klar, ich bin vergänglich. Die Musik kann das kompensieren, konzentrieren.“ Meine linke Hand greift zum Kinn. Die Fehler des Menschen lassen sich durch Kultur kompensieren?

Die Düsternis eines Weltuntergangs hellt sich auf. Wie kann es noch heller werden?* Wenn ich Lesch, dem Astrophysiker zuhöre, der überzeugt ist, dass die Welt mehr ist als Messbares, dass das Universum durchsetzt ist von einem schöpferischen Prinzip, dann kann ich als Aufheller auch die diesjährige Fastenaktion „7 Wochen ohne“ der evangelischen Kirche sehen. „Leuchte! Sieben Wochen ohne Verzagtheit.“ Was für ein Motto. „Drei Dinge, so soll der Dichter und Philosoph Dante Alighieri geschrieben haben, sind uns aus dem Paradies geblieben: Die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder.“ Ja, die Welt ist voller Schönheit. Sehen wir das aber noch, schon bei alldem, was ich bisher über den Februar geschrieben habe? Da ist das Erdbeben in der Türkei und in Syrien und seine Folgen und was es offenlegt, politisch, alles noch gar nicht aufgenommen. Und dann sieben Fastenwochen nicht verzagen? Über das, was uns Angst macht? Über unsere Kraft, die nicht ausreicht?

Dieses alte religiöse Ritual des Entsagens, des Verzichts, nicht um des Verzichts willen, es soll uns ja zum Leuchten bringen, Licht anderen schenken mit Worten, Gesten, Tun. Wird Fasten unseren Blick auf die Welt verändern? Ein Versuch könnte es doch wert sein. Ich unterbreche wieder mein Gedankenspiel. Ödön, was meinst du? Stimmst du deinem Zeitgenossen und seinem Kalenderspruch zu? Im Februar haben sie ihn in Augsburg wieder einmal mit einem Festival gefeiert, seines Geburtstags gedenkend, dem einhundertfünfundzwanzigsten. Es gibt keinen Grund zu sagen, die politische Utopie eines Weltfriedens ist nicht umsetzbar. Dann also, mit dir auf Brechts Kalenderspruch: „Ändere die Welt, sie braucht es.“

* Wenn Sie dem Fasten nicht trauen und dem, dass es dadurch in der Welt heller wird, dann trauen Sie doch der Kunst und fahren Sie nach Düsseldorf. Im Februar eröffnet, bis zum 7. Mai im Kunstpalast zu sehen: „Mehr Licht.“ 170 kleine Ölgemälde aus dem 19. Jahrhundert, erstmals in der Natur gemalt, weil 1842 die Farbentube erfunden wurde, mit Farben die schneller trockneten. Umgewandelte Natur, nach Reinhold Messner. Eine wertschätzende Betrachtung.

Autor Dieter Kirsch

Mehrmals in einem Monat sitze ich mit Ödön von Horváth auf der Seidlbank vor dem Murnauer Rathaus. Das Ergebnis unserer Gespräche ist am ersten Mittwoch im Folgemonat hier zu lesen.

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