Von Horváth – Über Marien – Aus Oberammergau

Ödön auf der Seidlbank

Es ist kompliziert. Sie ist modisch geworden, diese Formulierung. Schick. Was meinst du dazu, Ödön, heute mal wieder auf unserer Seidlbank? Du schaust in den Himmel? „Es kommt von oben“
sollst du immer mal wieder gerufen haben, warnend, voraussehend. Ja, einen sechsten Sinn für das Wetter wurde dir zugesprochen.

Der Widersinn der Murnauer von damals, der ist ja gewichen. Jetzt hast du ja alle drei Jahre einen großen Auftritt hier. Am 13. November werden sie wieder eröffnet, die Horváth-Tage. „Die erste Garde kommt“, so titelt stolz das Tagblatt. Damals gehörtest du nicht zur ersten Garde, als du hier noch gelebt hast, so gern hier gelebt hättest, dass du 1927 sogar ein Einbürgerungsgesuch gestellt hast. Man hat dir aber nicht getraut, trotz dem guten Ruf der Eltern, ihrem Wohlstand. Ja, ein Ministerialrat im diplomatischen Dienst, das ist halt was anderes als einer, für den der Begriff Vaterland fremd ist, für den das Volk sein Vaterland ist. Das hast du doch mal geschrieben. So einen wollte man damals nicht als Murnauer Bürger.

Gräm dich nicht, du warst nicht der Einzige, der hier nicht bleiben durfte. Schau mal wieder nach oben, tust du doch so gern, rechts hoch. Da steht eine, die 1939 aus Murnau sogar entfernt wurde, obwohl sie dort schonmehr als zweihundert Jahre auf dem heutigen Platz gestanden hatte. Eine Künstlerin, Margareta Biegert-Simm will diese Maria auf ihrer Säule abformen. Sie hat dazu selbst geschöpftes Papier entwickelt, Ausgaben des Murnauer Tagblatts geschreddert, aufgekocht, mit Fasern von Sisal und Hanf vermengt. Du fragst, warum? Die Künstlerin will, dass die Murnauer ihre Maria, die da auf einer Säule in ihrer Fußgängerzone steht, neu entdecken. Aber welche Maria? Die starke Frau? Die erste alleinerziehende Mutter? Was sagt eigentlich Josef zu dieser Behauptung? Maria: katholisch, die Schutzheilige Bayerns, die Gottesmutter. Evangelisch: Maria, die Mutter Jesu, die gemeinsam mit Josef ihren Sohn in jüdischer Tradition erzog.

Ja, es ist kompliziert, um es modisch zu formulieren. Oder: Maria ist in. Auch kirchenintern: Maria 1. 0. Maria 2. 0. Ich greife nach dem Katalog „Maria zwischen den Konfessionen: Verehrt. Geliebt. Vergessen.“ Blättere ihn durch. Ödön blättert mit. Wir bleiben bei einem Bild von Cranach hängen, zu Luthers Zeit entstanden: „Maria mit dem sie umhalsenden Kinde“. Lebendig und zärtlich die Umarmung. Es könnte irgendein Kind irgendeiner Mutter dieser Zeit sein. Keine heiligen oder göttlichen Attribute. Verrückt. Dieses Bild hängt im Hochaltar des Innsbrucker Doms, avanciert dort zum Mariahilf-Bild. Das protestantische Trostbild verhilft Katholiken zur Andacht. Maria, die Brückenbauerin zwischen den Konfessionen. Auf welche Maria will die Künstlerin auf dem Gerüst in der Fußgängerzone die Murnauer neugierig machen, für welche ihr Interesse wecken?

Ödön meldet sich: Ich habe schon in meiner Märchenposse „Himmelwärts“ zeigen wollen, wie die Kirche, die christliche Lehre in ein Machtinstrument umgeformt hat. Die Frauen in meinen Stücken erleben das, leiden darunter“. Ich lege den Katalog zurück auf die Bank, erzähle Ödön von dem Film, den ich jetzt im Griesbräu gesehen habe. „Anima – Die Kleider meines Vaters. (K)eine ganz normale Familie. Wie viele Opfer eines freien Flugs der Seele, der Anima, saßen im proppenvollen Kinosaal?

Der Film und Ödöns Kommentar erinnert mich an Oberammergau und an die Passion, die jetzt gerade zu Ende ging. 1990 ging dort auch etwas zu Ende, der Jungfernstreit, der die Passionsspiele reformierte. Stell dir vor, Ödön, drei Frauen haben in einem langen, über zehn Jahre dauernden Rechtsstreit gegen die Gemeinde und ihre Regeln des Spielrechts geklagt und schließlich im März 1990 vor dem Oberlandesgericht in München gewonnen. Und so stand 1990 tatsächlich eine Mutter von zwei Kindern als Jungfrau Maria trauernd unter dem Kreuz. Und der junge Regisseur der Spiele, Christian Stückl löste bravourös die schwierige Aufgabe, im letzten Moment noch Hunderte von Oberammergauerinnen ins Stück zu integrieren.

Aber wer Ödön, denkt heute noch an 1990? Heute wird über die endlich vom Antisemitismus gereinigte Textfassung von Stückl gestritten. Heute sind rund 100 Vorstellungen gelaufen, 97 Prozent der Karten waren damit verkauft, 412 000 Besucher haben 1700 Oberammergauer gesehen, die nach insgesamt 160 000 Tests auf die Bühne traten. Der Titel im Tagblatt fasst es zusammen: „Eine überreiche Ernte“. Wird sie aber ausreichen, profan gedacht, das Wellenbad Oberammergau wieder zu öffnen, wird der geistlichen Auffrischung eine körperliche folgen? Wenn schon kein familienfreundliches Erlebnisbad, das einmal 300 000 Gäste jährlich anlockte, dann, wenn schon keine Kohle da ist, so sarkastisch der bisherige Betriebsleiter, dann wenigstens ein Schwimmbecken, damit Kinder über das ganze Jahr hinweg wenigstens schwimmen lernen. „Alle Kinder müssen schwimmen können, das sollte ein Grundrecht sein, denn es rettet Leben“, so Franziska van Almsick, deutsche Weltcup-Gesamtsiegerin 1993, im Land bekannt wie ein Popstar.

Ödön, hast du auch gelesen, dass in Oberbayern seit 2005 vierundvierzig Schwimmbäder geschlossen wurden? Wo übrigens, du Sportbegeisterter, hast du Schwimmen gelernt, so dass du am Staffelsee nicht nur kräftig feiern, sondern auch kräftig in seinem Wasser dich bewegen konntest? „Wo, das habe ich vergessen. Ich habe nur von dem alten Murnauer Thema gehört. Schon 2013 habe die Kinder- und Jugendvertretung an den Markt einen Antrag auf ein Hallenbad gestellt, also nicht auf eine Wellness-Oase, nur auf ein Hallenbad. Schwimmen stehe im Lehrplan, wie Lesen und Schreiben. Der Antrag sei dann wohlwollend einem neu einzuberufenden Arbeitskreis übergeben worden. 4000 Unterschriften für den Antrag wurden dann auch von den Förderern gesammelt, meine wäre auch dabei gewesen. Ein Kurzgutachten einer Kommunalberatung sei vorgelegt worden. Ja und dann wieder, 2022, sei eine Bloggerin aufgetreten, Sophie Linnbrunner, die nach dem Antrag für ein Hallenbad fragte. Hätte ich auch getan.“

Na, du bist gut informiert, Ödön, über das Volk, das du als dein Vaterland genannt hast. Wohl keine guten Aussichten für die Oberammergauer, dass die reiche Ernte auch für ein Bürgerbad reichen könnte. Auf was können die Murnauer hoffen? Verrückt der Weg, den unsere Gedanken heute auf der Seidlbank gegangen sind. Übrigens, die Metamorphose, deren Anfang wir beobachtet haben, die vom schweren Stein zum leichten Papier, die sei vollzogen, jubelt die Künstlerin. Also, Ödön, auf zur Ausstellung ins Heimatmuseum in Uffing, am 25. März 2023, Was für ein Datum? Mariä Verkündigung. Natürlich.

Autor Dieter Kirsch

Mehrmals in einem Monat sitze ich mit Ödön von Horváth auf der Seidlbank vor dem Murnauer Rathaus. Das Ergebnis unserer Gespräche ist am ersten Mittwoch im Folgemonat hier zu lesen.

❎ Danke. Im Moment habe ich kein Interesse an dem Newsletter.
✔️ Ich habe mich bereits für den Newsletter angemeldet.