Das Spätjahr ist der Wolken Zeit

Von der Bildungswende
Vom Handwerk als Schimpfwort
Vom Knoten im Haushalt, in Murnau wie in Berlin

Ödön auf der Seidlbank

Lockere und alltagsphilosophische Gedanken über die letzten vier Wochen

Ödön, möchtest du nicht Kultusminister werden? Wie kommst du auf die Idee? Ich traf nur mal wieder auf dein Zitat von der Dummheit, diese unendliche Dummheit hinter der Maske, die man sich zulegen muss, um zu überleben. Das war zu deiner Zeit, das ist noch heute so.

Dummheit, gepaart mit Melancholie und Sentimentalität. Darum kommen ja heute noch deine Stücke so erfolgreich auf die Bühne. Und darum soll ich Kultusminister werden, eintreten in den Kreis der Prügelknaben der deutschen Politik? Nach eurer Landtagswahl in Bayern, wer wurde ausgetauscht in der Regierung? Aus dem Kultusminister wurde eine Kultusministerin.

Ja, Ödön, ein Schleudersitz steht in diesem Haus, gleich welches Geschlecht darauf sitzt. Eine Karriere machst du nicht in diesem Haus. Auch wenn es gut geht, wenig Applaus. Geht es aber schlecht, erlebst du das Phänomen, das jeder Fußballtrainer kennt: es gibt achtzig Millionen. Jeder weiß es besser, jeder saß ja schon irgendwann in einem Klassenzimmer. Dabei haben wir aktuell eine Bildungskrise wie noch nie in dieser deutschen Demokratie, brauchen wir eine Bildungswende, vernachlässigen wir die wertvollste Ressource, die wir im Land selbst haben.

Ödön nickt und meint: Mit der Zeitenwende könnte doch auch eine Bildungswende gekoppelt werden. Ja, Ödön, 2008 gab es einen Bildungsgipfel in Dresden. Beschlossen wurde: zukünftig sollen 10 % des Bruttoinlandsprodukts, also der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen eines Wirtschaftsjahres für Bildung md Forschung ausgegeben werden. Pro Kopf wären das für Deutschland rund 51.300 US-Dollar. So gemessen, Ödön, lägen wir auf einer weltweiten Rankingliste auf Platz 20. Das reichste Land nach dieser Rechnung wäre dann Luxemburg, das ärmste, Burundi in Ostafrika mit 245 US-Dollar. Alle Daten, Ödön, fand ich in einem Bericht des Internationalen Währungsfonds vom April 2023. Mit diesen Zahlen im Kopf schaue ich gespannt nach Dubai auf die achtundzwanzigste UN-Weltklimakonferenz, die ab dem 30. November wohl die Schlagzeilen beherrschen wird. Und nicht mehr Israel und Gaza, die Hamas und ihre Geiselnahme und schon gar nicht eine echte Bildungswende hier in Deutschland, fragt Ödön?

Meinst du, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der dadurch entstandenen Haushaltslücke von sechzig Milliarden Euro noch einer sich an die Bildungskrise wagt? Mein Lieber, ich habe doch gelesen, dass es für 65 Milliarden umweltschädliche Subventionen gibt. Das wäre doch ein toller Topf, der zu leeren wäre. Ödön, wir haben eine Regierung, eine Koalition von drei Parteien. Keine will die Macht verlieren, eine will neu wieder an die Macht kommen. Sie beschimpft die Regierung als Klempner der Macht. Ein Handwerker als Schimpfwort und die Regierung interpretiert das mit „Wir sind stolz auf dieses Lob“. Ob sie dabei wirklich an das Handwerk gedacht hat?

Den Anlagemechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, ein Beruf, der sich aus dem entwickelt hat, der unter dem Spülbecken lag und den Haarhaufen aus dem Siphon in einen Eimer rauschen lässt. Gerhard Matzig, Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung klärt mich auf über das falsche Bild vom Handwerk, das in so manchen Köpfen noch haust. „Im Handwerk werden 13% aller Erwerbstätigen in Deutschland beschäftigt. Das sind mehr Menschen als bei allen Dax-Unternehmen zusammen. Das Handwerk ist von enormer Relevanz und der Fachkräftemangel ein Ergebnis jahrzehntelanger Handwerker-Abwertung.“

Hand aufs Herz, Ödön: Würdest du bei einem Politiker anrufen, wenn mal was kaputt ist? Übrigens, die Berliner Haushaltsdiskussion bestimmt auch in den nächsten Wochen im Murnauer Gemeinderat die Tagesordnung. Der vorgelegte Entwurf hat es in sich, so der Kämmerer Josef Brückner. Er erfüllt die gesetzlichen Anforderungen nicht. „Die sogenannte freie Spanne für Investitionen liegt bei minus 542.000 Euro. Diesen Knoten gilt es aufzulösen.“ Dann hoffen wir mal, Ödön, auf einen anderen Ton als in Berlin über die Diskussion zur Schuldenbremse.

Sparen oder offene Kredite den künftigen Generationen hinterlassen? Ist das besser als kaputte Brücken, marode Schulen und lahmes Internet? Komm Ödön, lass uns nach den Wolken gucken. Das Spätjahr ist der Wolken Zeit, schrieb Kierkegaard. Du bist doch auch so ein Himmelgucker. Lass uns Wolken lesen. An was erinnert sie dich, die weiße Wolke da, so ungeheuer oben? Bei Bertolt Brecht war es Marie, seine Jugendliebe.

Autor Dieter Kirsch

Mehrmals in einem Monat sitze ich mit Ödön von Horváth auf der Seidlbank vor dem Murnauer Rathaus. Das Ergebnis unserer Gespräche ist am ersten Mittwoch im Folgemonat hier zu lesen.

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