Das letzte AKW abgeschaltet
Franz von Assisi
Generationengerechtigkeit
Ödön auf der Seidlbank
Lockere und alltagsphilosophische Gedanken zu den letzten vier Wochen.
Ödön, das Ereignis im Monat April in diesem Jahr: Eine Epoche ist zu Ende gegangen. Am 15. April wurden die letzten drei deutschen Kernreaktoren abgeschaltet. „So lange dauert es also, bis sich Vernunft durchsetzt?“ Schnell gesagt, Ödön. Ich kenne deinen Kampf gegen die Dummheit und für die Vernunft. Aber in unser Ja-Nein-Vielleicht-Denken schleicht sich immer die individuelle Vorannahme, die Ideologie ein. Ich lege ein Buch auf unsere Seidlbank. Meine mich zurzeit packende Lektüre. Grellgrün sein Cover. Ein Recycling-Logo. Ein Bild: Franz.*
Der würde dir auch gefallen, Ödön. Ein echter Revolutionär. Gut, als religiöse Figur, da lag Franz von Assisi nicht in deinem Blick. Aber als Mensch, Tierschützer, Friedensstifter, Minimalist. Gut, er lebte vor achthundert Jahren. Aber er hat auch uns heute noch viel zu sagen. Auch über die Wirkung von Ideologie, von Vorannahmen ist diese Biografie ein Lehrbuch. In ihm wird Franziskus vom Heiligenschein befreit, er wird ein Mensch, herrlich verrückt, ganz nah bei den Menschen. Für seine Kirche, die um Relevanz bei den Menschen ringt, könnte er eine große Rolle spielen.
Da genügt es nicht, dass zum ersten Mal ein Papst seinen Namen angenommen hat, statt als vierzehnter Leo sich auf den Apostolischen Stuhl zu setzen. „Und andere Ereignisse?“ Ach, Ödön, der April, der wird doch immer als der wildeste Monat beschimpft oder gehuldigt. Weil die Sonne noch so tief steht, führen die warmen und kalten Luftmassen zu heftigen Wetterwechseln. Und es scheint so, dass sich das Wumms und Bumms am Himmel in irdischen Meinungswechseln widerspiegelt. Die Wetterkarte am Ende der Abendnachrichten, eine graphische Zusammenfassung der Hochs und Tiefs des zuvor verlesenen Nachrichtenblocks.
Wann steigt die Vernunft, damit die Meinungsluftmassen nicht knallend aufeinanderstoßen? Je höher die Sonne steht, desto kleiner werden die Gegensätze. Können wir diese meteorologische Erkenntnis auf die Vernunft übertragen? In Murnau auf die Diskussionen des Gemeinderats über dessen atmosphärische Störungen? Über dessen Kommunikationswege? Über bezahlbaren Wohnraum und Nachverdichten? Über Mobilfunkmaste? Über Ruf- oder Linienbusse?
Ach, Ödön, ich denke, das Gedankenspiel von Sonne und Vernunft hilft nur weiter, wenn ich eine Transzendenz in unser Leben einziehe, denn unser Denken wird bestimmt durch materielle Verhältnisse und Interessen. Politik ist darum immer ideologisch. Schau auf Bayern. Das letzte Atomkraftwerk ist abgeschaltet, da verlangt die Staatsregierung es in Eigenregie zu übernehmen. In Oberaudorf hat ein Bär drei Schafe gerissen. Jetzt hat das Kabinett beschlossen, dass ein gerissenes Schaf als Auslöser ausreicht, um in einer Region auch den Wolf jagen zu dürfen. Und wenn wir auf Deutschland schauen, fragt spöttisch Ödön? Und ich antworte: Sicher zu sein, keine Ideologie zu haben, das ist sicher ideologisch. Und ich hole Nicolas Freund zu uns auf die Seidlbank. Er ist Redakteur im Politik-Ressort der SZ und zeigt in einem großen Artikel die Folgen politischer Ideologie an der komplexen Situation der Jugend, und wie unfair für sie das Erbe der Alten ist.
Dazu musst du wissen, Ödön, dass seit Monaten die „Alte Generation“ der Politik zum Beispiel beim Thema Klimaschutz davor warnt, dass die „Letzte Generation“, eine der vier großen Protestorganisationen der Jugend, nicht nur „die Leute vergrault“, sondern sich radikalisiert, ja dass so eine Klima-RAF entstehen könnte. Nicolas Freund legt neben sich ein Bansky-Graffiti: Ein Kind sitzt auf dem Boden vor einer Mauerfassade. Sie ist mit dem Slogan der englischen Punkbewegung beschrieben: NO FUTURE. Das O wird mit einer Schnur zum Luftballon in der Hand des Kindes. Grimmig schaut es auf einen Müllcontainer mit Altlasten der Erwachsenen. Das Graffiti illustriert grandios Freunds Gedanken.
„Ich nehme mal das Auto. Im besten Fall stand lange Zeit ein Haus mit einer Ölheizung im Keller, einem Grill für Fleisch im Garten und einem Auto in der Einfahrt, das Benzin verbrennt. Das wirtschaftlich so erfolgreiche Auto und der damit verbundene Lebensstil haben zu einer Klimakatastrophe beigetragen, die in den nächsten Jahrzehnten zu Wettereignissen führen werden, die sich zwischen Extrem und Unbewohnbar einpendeln werden. Gehandelt werden müsste weltweit sofort. Nun hat die Europäische Union zwar das Aus der Verbrenner auf der Straße beschlossen, aber gleichzeitig großzügig ihm eine Gnadenfrist bis 2035 gewährt. Eine Rechnung auf Kosten der Jungen.“ Und Nicolas Freund hat auch noch aktuelle Daten einer Umfrage für den Bayerischen Rundfunk mitgebracht. 75% der 18- bis 34-Jährigen gehen davon aus, dass sie den Wohlstand ihrer Eltern nicht erreichen werden. Und 69% geben an, dass die Generation ihrer Eltern es leichter hatte, Wohlstand aufzubauen. Sie können sich auch nicht darauf verlassen, eine Rente wie sie zu bekommen, ja deren Lebensstandard zu erhalten.
Schauen wir noch einmal auf den herrlich verrückten Franz von Assisi. Das grelle Cover seines Buches liegt noch auf der Bank. Daneben noch immer auch das Bansky-Graffiti. Ödön nimmt das Buch in die Hand. „Generationengerechtigkeit, das war wohl nicht sein Thema“. Das schon, Ödön. Umso mehr aber die zwischen Mensch und Natur. Er bat die Bürgermeister der Dörfer, durch die er zog, im Winter Körner für die Vögel auf die Straßen zu streuen. Gerechtigkeit zwischen Mensch und Natur.
* Alois Prinz: Franz von Assisi – Tierschützer, Minimalist und Friedensstifter (Gabriel Verlag, Stuttgart 202, 17 Euro)
Mehrmals in einem Monat sitze ich mit Ödön von Horváth auf der Seidlbank vor dem Murnauer Rathaus. Das Ergebnis unserer Gespräche ist am ersten Mittwoch im Folgemonat hier zu lesen.